Viele Menschen verbinden Trauer mit dem Tod. Jemand ist gestorben, und du trauerst um ihn. Doch Trauergefühle treten nicht nur in diesem Fall auf. Sie kommt bei Verlusten aller Art: deine Beziehung geht in die Brüche, Kinder ziehen aus, du verlierst deinen Job oder musst ihn wechseln – um nur einige zu nennen.
Denn nicht nur Menschen können sterben und uns fehlen, genauso Hoffnungen, Wünsche und Beziehungen. Unser Leben unterliegt stetiger Veränderung. Was gestern noch sicher schien, ist heute schon zweifelhaft. Die Konstanz nimmt ab. Trauer findet sich deshalb auch außerhalb des Sterbens. Sie macht sich bemerkbar bei Veränderungen jeglicher Art: bei Umstrukturierungen im Job, bei einem Umzug in eine neue Stadt oder auch, wenn auf deinem Lieblingsfleckchen Natur plötzlich ein Neubau entsteht.
Genauso hast du es mit Trauer zu tun, wenn du dich „nur“ von einer Vorstellung verabschieden musst, die lange dein Leben bestimmte. Das passiert zum Beispiel beim Abschied vom unerfüllten Kinderwunsch. Oder auch beim Durchfallen durch eine Prüfung, wie zum Beispiel dem Abitur oder einer Meisterprüfung, von welcher dein weiterer Lebensweg abhängt. Du siehst: Trauer ist überall. Doch warum ist das so und wie kannst du damit umgehen? Und was ist Trauer überhaupt?
Trauer ist ...
Trauer, wie wir sie heute verstehen, ist ein emotionaler Zustand. Ein Gefühl. Ein seelischer Schmerz. Wir sind zornig, fassungslos, ohnmächtig, wütend oder auch betäubt. Etwas hat sich verändert, das sich unserem Einfluss entzieht. Ein geliebter Mensch ist gestorben. Oder dein Partner hat dich verlassen. Oder du verlierst deine Arbeit. Oder du kann keine Kinder bekommen. Immer ist da etwas, was du nicht verändern kann, mit dem du dich abfinden sollst. Aber wie oft schreit alles in dir: „Ich will das nicht!“ oder „Ich will, dass es bleibt, wie es war!“ oder „Dass muss doch klappen!“
Ob die Situation wie beim Tod eines geliebten Menschen real besteht oder es sich nur um den Verlust einer Erwartung, wie zum Beispiel beim unerfüllten Kinderwunsch, handelt, ist für das Empfinden von Trauer völlig egal. Die Situation sagt nichts darüber aus, wie tiefgreifend dein Schmerz ist. Auch spielt es keine Rolle, ob deine Mitmenschen deine Trauer nachvollziehen können. Deine Trauer ist genauso individuell wie du.
Trauer ist auch nicht miteinander vergleichbar, denn jeder Menschen fühlt anders. Je nachdem, welche Erfahrungen du in deinem bisherigen Leben gemacht hast. Oder welche Emotionen du in dir trägst. Die selbe Situation kann für dich schmerzhaft sein, für eine andere Person aber nicht oder nicht in dem Maße.
Trauerprozesse können Jahre dauern. Manche Menschen kommen z.B. nie über das Ende einer Partnerschaft hinweg. Andere wiederum passen sich recht schnell an die geänderten Verhältnisse an. Das bedeutet aber nicht, dass die einen richtig und du vielleicht falsch trauerst. In der Trauer gibt es kein Richtig und kein Falsch, sondern nur deine persönliche Trauer.
Trauer versteckt sich oft
Viele Menschen bringen Trauer nur mit dem Tod in Verbindung. In anderen Verlust- und Veränderungssituationen würden sie Trauer verneinen. Stattdessen sind sie
wütend auf ihren Chef, der ihnen einfach ein neues Arbeitsgebiet überstülpt,
sauer auf die Freundin, die ihnen die Freundschaft kündigt,
verzweifelt, weil sich keine Schwangerschaft einstellen will,
frustriert, weil der langersehnte Urlaub oder das schön geplante Weihnachtsfest nicht den eigenen Erwartungen entspricht.
Hinter all diesen Gefühlen steckt die Trauer: um die bisherige Arbeit, die frühere Freundin, die Vorstellung eines Lebens mit Kindern, einen Höhepunkt im Jahr. Ich möchte dir Mut machen, in Situationen, die mit Wut und Verzweiflung, aber auch Antriebslosigkeit und Ohnmacht verbunden sind, genauer hinzuschauen. Warum bist du gerade wütend? Was hast du verloren und fehlt dir jetzt? Vielleicht ist da ja eher Trauer.
Es kann hilfreich sein, diese versteckte Trauer hervorzuholen und ihr Platz und Raum zu geben. Trauer ist aus meiner Sicht ein wichtiger Bestandteil eines Veränderungsprozesses. Solange ich nicht um das, was war, oder das, was ich mir gewünscht habe, trauere, unterdrücke ich die Trauer nur. Sicher kann ich irgendwie weitermachen, aber sie wird sich irgendwann wieder bemerkbar machen. Außerdem wird es so schwerer für dich, dich auf etwas Neues einzulassen.
Warum wir uns so schwer damit tun, Trauer auch woanders zu sehen
Noch vor einigen Jahrzehnten waren Trauer und Trauerprozess dem Tod vorbehalten. Wenn jemand starb, wurde getrauert. Es war eher eine Zeitspanne. Es gab zum Beispiel das Trauerjahr, in dem schwarz getragen wurde. Danach war die Trauerzeit offiziell vorbei. Gefühle spielten dabei nur eine untergeordnete Rolle. Es wurde getrauert, auch wenn man den Verstorbenen vielleicht gar nicht leiden konnte. Das „gehörte sich so“.
Da unsere Geschichte bis vor wenigen Jahrzehnten auch in Deutschland von immer wiederkehrenden Kriegs- und Hungerzeiten geprägt war, gab es für Trauer über den Todesfall hinaus kaum Platz. Menschen starben oft jung, viele noch im Säuglings- und Kleinkindalter. Der Tod war allgegenwärtig. Geburt und Tod bestimmten vielmals das Leben.
Das änderte sich erst mit der Verbesserung der medizinischen Versorgung. Viele Krankheiten, die früher einem Todesurteil gleichkamen, sind heute behandelbar. Die Lebenserwartung hat sich erheblich verlängert. Der Tod macht sich oft rar in unserem Leben. Vielfach ist er auch vorhersehbar, wie zum Beispiel bei einer langen Krankheit oder im hohen Alter. Er ist nicht mehr das allgegenwärtige Schreckgespenst.
Stattdessen zeigt sich jetzt, dass Trauer in erster Linie ein Gefühl ist, eine seelische Reaktion auf einen schweren Verlust. Das kann der Tod eines geliebten Menschen sein, aber eben auch noch viel, viel mehr.
Wie kann ich mit meiner Trauer umgehen?
Ein erster Schritt zum Umgang mit deiner Trauer ist aus meiner Sicht, sie anzuerkennen. Sie ist da. Hier in dir. Vielleicht fragst du dich, worum du trauerst. Was hast du verloren? Was war vorher da und ist jetzt weg? Das kann zum Beispiel eine körperliche Einschränkung aufgrund einer Krankheit sein. Oder auch die Hoffnung auf ein Leben mit einem eigenen Kind. Das sind allesamt Verluste, die dich aus der Bahn werfen können. Ob andere Menschen das ebenso fühlen, spielt für deinen Verlust und deine Trauer keine Rolle.
Trauer will von dir gesehen werden. Schau dir deine Trauer an. Welche Gefühle löst sie in dir aus? Wenn es dir möglich ist, dann lass sie da sein. Du kannst dir hierfür auch Unterstützung durch eine gute Freundin oder eine Trauerbegleiterin nehmen. Gerade, wenn du den Eindruck hast, dass deine Gefühle dich überwältigen könnten oder du über längere Zeit gar nichts mehr fühlen kannst, ist Hilfe von außen zu empfehlen. Du musst da nicht allein durch.
Gib dir Zeit. Es gibt keine feste Zeit, nach der du „zu Ende getrauert“ haben musst. Das ist bei jedem Menschen und auch je nach Verlustsituation unterschiedlich. Du wirst spüren, wann es dir besser geht. Auch wenn es Jahre dauert – niemand hat das Recht dir zu sagen, dass es nun aber mal genug ist. Du darfst so lange trauern, wie du es brauchst. Verzweifle nicht, wenn du den Eindruck hast, dass es nicht vorwärts geht oder es Rückschläge gibt. Trauerprozesse verlaufen nicht linear. Es wird immer wieder gute und auch schlechte Tage geben.
Ich wünsche dir alles Gute in deinem Trauerprozess.
Achte auf dich.
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